Geschichtliche und philosophische Wurzeln

Seit ca. 1500 v. Chr. ist Yoga in Indien überliefert. Als die indo-arischen Einwanderer nach Indien kamen, brachten sie neben ihren religiösen Anschauungen auch diesen spirituellen Übungsweg mit.
In der frühen Zeit – 1500-900 v. Chr. – waren Yogapraktiken vor allem stark von den Vorstellungen der Mystik und Askese geprägt.  Damals wurde Yoga ausschließlich von heiligen Männern (Rishis) geübt, die durch ausgefallene Praktiken Verbindung mit dem Göttlichen suchten.
In der Zeit ab 900 v. Chr. wurde der bis dahin aufwendig praktizierte Ritual- und Opferkult mehr und mehr zurückgedrängt. Zunächst ersetzten symbolische Opfer (Obst, Nüsse, Milch) die bis dahin üblichen äußeren Opfer (Tiere, gelegentlich auch Menschen), dann vor allem aber innere Opfer (wie der eigene Atem). Die ältesten heiligen Schriften Indiens sind die Veden, wo von es vier gibt (Rig, Sama, Yajur u. Atharva). Sie bestehen jeweils aus einem praktischen und einem theoretischen Teil, der als Upanishad bekannt ist. In ihnen findet man die Annahme eines kosmischen- und eines individuellen Selbst:  Brahman und Atman. Verdichtet wurde diese Anschauung in dem Satz „TAT TVAM ASI“ - DU BIST DAS (du bist das Göttliche). In den Upanishaden werden Techniken der Reflexion und Versenkung geschildert, die ganz eindeutig als Yogaübungen zu erkennen sind. Körperübungen (Asanas) waren in dieser Zeit noch keine bekannt. Als Atemtechnik wurde die reine Atembeobachtung geübt, mit dem Ziel den Atem (Prana) als Teil der göttlichen Energie im Menschen zu erleben. Andere Upanishaden beschreiben die verschiedenen Bewusstseinszuständen des Geistes, die Aspekte des Selbst, die Hüllen des Menschen (Koshas) usw.  .

Etwa 500 Jahre v. Chr. wurde die Bhagavadgita – als Teil des größeren epischen Werkes Mahabharata – von Vyasa geschrieben, die den Weg des Yoga stark beeinflusste. In ihr wird die Unterweisung, die die Gottinkarnation Krishna (Lehrer) dem Krieger Arjuna (Schüler) gibt, beschrieben. Zum Inhalt:

Die Pandavas waren die fünf tugendhaften Söhne von Pandu. Yudhishthira war einer von Pandus Söhnen und der Herrscher des Königreiches der Pandavas. Er hatte nur eine große Schwäche, das Glücksspiel. Duryodhana der älteste der Kauravas-Kinder, der eifersüchtig auf die Größe u. Herrlichkeit der Pandavas war, verführte ihn zum Würfelspiel und gewann durch Betrug. Nachdem sie 12 Jahre im Exil hinter sich gebracht hatten, gingen die Pandavas, so wie es vereinbart worden war, zu Duryodhana, um den rechtmäßigen Besitz ihres Königreiches anzutreten. Duryodhana lehnte es ab, ihnen auch nur das Geringste zu geben. Die Pandavas wurden in den Krieg getrieben, um Rechtschaffenheit wieder herzustellen. Arjuna war einer von Pandus Söhnen und oberster Krieger der Pandavas. Er bat Krishna im Krieg um Hilfe. Krishna als Gottinkarnation konnte nicht parteiisch sein. Er bot Arjuna an, zwischen seiner mächtigen Armee und ihm selbst zu wählen und sagte, er würde selbst nicht kämpfen. Arjuna wählte Krishna und machte ihn zu seinem Wagenlenker. Nach einer langen Schlacht, in der die meisten Soldaten starben blieben die Pandavas siegreich.

Arjuna empfing angesichts der bevorstehenden Schlacht von seinem göttlichen Wagenlenker Krishna eine grundlegende Unterweisung über die Kunst des richtigen Lebens und Handelns und den spirituellen Weg zu Gott, zur höchsten Wirklichkeit. Das Schlachtfeld ist ein Symbol für unentwegte Kämpfe, die im Menschen zwischen guten und bösen Kräften stattfinden, zwischen dem Ego und seiner höheren Natur. Krishna zeigt Arjuna die Wege von Erkenntnis (Jnana-Yoga), Selbstlosen Tun (Karma-Yoga), Gottesliebe (Bhakti-Yoga) und Meditation (Raya-Yoga) Dies sind die  klassischen Wege des Yoga, deswegen ist die Bhagavad Gita die wichtigste Yoga-Schrift.

Zur gleichen Zeit (500 v. Chr) kam es zu einer intensiven gegenseitigen Beeinflussung zwischen Yoga und dem Buddhismus. Buddha selber folgte vor seiner Erleuchtung einige Zeit dem Weg des Yoga. Eine Reihe von Erkenntnissen, die er in dieser Periode gewonnen hatte, flossen später in seine Lehren ein.

Um die Zeitwende wurden die Yoga-Sutras von dem Weisen Patanjali verfasst. Mit Sutra ist  jener Leitfaden gemeint, der zur Grundlage des Yoga-Übungswegs (Sadhana) –  und gleichermaßen in allen Traditionslinien bis heute anerkannt wurde. Er gilt als Wissenschaft des Yoga, weil er den Weg der Selbsterkenntnis und Geistesschulung methodisch, systematisch und jederzeit nachvollziehbar darstellt. Beispielhaft für diese exzellente Methodik ist Patanjalis Ashtanga-Yoga genannter achtgliedriger Pfad (seit dem letzten Jahrhundert auch als Raja-Yoga – königlicher Yoga – bekannt). In ihm reihen sich folgende Glieder stufenweise aneinander:
1.    Yama – Regeln für den Umgang mit anderen
2.    Niyama – Regeln für den Umgang mit sich selbst
3.    Asana – Haltung, bei  Patanjalis ist hier lediglich der Lotussitz gemeint
4.    Prãnãyãma – Atemverfeinerung, Pforte in die höheren Techniken des Yoga
5.    Pratyahara – Zurückziehen der Sinne aus der äußeren Welt, Verinnerlichung
6.    Dharana – Konzentration, Sammlung
7.    Dhyana – Meditation, reine Beobachtung
8.    Samadhi – Einssein mit dem Meditationsobjekt, Überbewusstsein
Patanjali gibt vielerlei Anregungen über die Struktur des Geistes,  wie man erkennen kann, wovon der eigene Geist beeinflusst wird und wie man ihn von diesen Beeinflussungen befreien kann.

Eine späte Entwicklung des Yoga – etwa ab dem  8. Jhd. n. Chr. – ist der heute so populäre Hatha-Yoga, das was wir hier im Westen also normalerweise mit Yoga verbinden: Körperübungen, Atemtechniken, Konzentrationsfomen und Meditationsmethoden.  Die vielfältigen Yogahaltungen (Asanas) und Energielenkungen mittels des Atems (Pranayama) wurden entwickelt, um den Körper als Gefäß der göttlichen Energie und des göttlichen Bewusstseins Ausdruck zu geben, Ziel dieser göttlichen Techniken ist es, Körper und Geist immer durchlässiger werden zu lassen. Der Zustand der völligen Durchlässigkeit ist der, in der das Selbst sich im Göttlichen auflöst, das ursprüngliche Ziel des Hatha-Yoga.
Unter dem Begriff Hatha-Yoga finden sich heutzutage Strömungen verschiedener Traditionslinien subsummiert. Einige blieben sehr den mystischen Ansätzen der Hatha-Philosophie verbunden, andere gingen in einen starken Bezug zum klassischen Yoga, stellten entweder die Körperarbeit ganz in den Vordergrund oder Techniken der Verinnerlichung. Im Westen denkt die Mehrzahl der Menschen bei diesem Begriff ausschließlich an Kopfstand, Lotussitz und andere Verrenkungen. Die Inder denken dabei vor allem an therapeutischen Yoga. Im Verlauf der Jahrhunderte seit seinem Entstehen verstrickte sich gerade der Hatha-Yoga in Indien teilweise in schwer nachzuvollziehende Spekulationen, wie z.B. das Erreichen der Unsterblichkeit. Er verlor dadurch an Ansehen und wurde zunehmend weniger praktiziert. Erst das Erstarken des Yoga im Westen weckte das Interesse der Inder an diesem alten Kulturgut, so dass er sich nun auch dort wieder verbreiteter praktiziert wird.